Jürgen Gennermann

(Gedicht Von Wilhelm Crone )

  Hörtest du je von Jürgen Gennermann?
Nein? Nie? – Nun, dann heute – Also wohlan!
Irgendwo bei der Kirche von Dahl
Drei Fuß im Grunde vom Volmetal
liegt ein Schädel ohne Haare und Hirn.
Wilde Gedanken wogten einst hinter der hohen Stirn.
Liegt ein Häuflein Rippen, als das Herz noch darunter schlug,
Glühheiß und stürmisch, gewölbt wie des Schiffes Bug.
Liegen die Knochen und Knöchlein der Glieder langgestreckt.
Die im Leben so lustig gedehnt sich, so kräftig gereckt,
Liegt Stück für Stück ohne Band,
Fast als hätten sie nie einander gekannt.
Und wissen nichts anders und Besser zu tun.
Als Auszuruhn.
Das braune Kirchbuch der Pfarrei sagt dir seit wann.
Liegt: Jürgen Gennermann.
Von Höhen, aus Siepen und Tal sind heut.
In Dahl auf der Kirmes die Kirchspielsleut.
Bei Kind und Keut (Keut,eine Art Weizenbier) bei Knab und Kuchen.
Nach allem Alltag Sonntag zu suchen.
Auch von Hunsdiek der Jürgen Gennermann.
Lehrt den Kraus ( Kraus – Krug) und sieht sich die Frauleut an.
Auch die goldhaarige Greite Griesenbeck.
Schaut den Jungen ins Aug und beißt in den Weck.
Und unter den duftenden Dorfeslinden.
Sich Jürgen und Greite zum Tanze finden.
Von ferne verstohlen dann und wann.
Sieht Casper vom Wildspring die Tänzer an.
Und die Volme rauscht, die Nachtigall flötet.
Die Liebe wird wach, und die Liebe tötet.
Der Mutter Rat und des Pfarrers Lehren.
Sie kann und sie will auch dem Sehnen nicht wehren.
Sie lässt das Kind den Knaben erkennen.
Den Knaben das Kind sein eigen nennen.
Und beide geloben: Für uns ist kein Trennen.
Die Volme rauscht. Die Nachtigall flötet.
Im Osten sich sanft der Morgen rötet.
Da schreiten zu Berge gen Hunsdiek hinan.
Das Glück und der Jürgen Gennermann.
Hinterm Baume am Mühlberg bei Kirmesort.
Was steht, was will Caspar vom Wildspring dort?
Er hört Schritte. Er duckt sich. Er streckt sich nieder.
Ein Sprung auf Jürgen! Er wirft ihn nieder
Und setzt das Knie ihm auf die Brust
Und grinst ihn an in teuflischer Lust:
„He Jürgen, du kommst wohl von der Freite?
Doch dass ich’s dir sage: Ich will die Greite!
Und du tanzest einmal, und du tanzest nie wieder,
Und“ – das Messer blinkt – „ich steche dich nieder!“
Da packt Jürgen Kraft, wie er nie sie besessen,
Und die muss und die will mit dem Gegner sich messen.
Ein Ruck und ein Griff, dass der Stahl ihn verfehle!
Schon schnürt auch die Rechte dem Caspar die Kehle!
Ein Wampeln hebt an und ein Wälzen und Würgen,
Bis unten der Caspar und oben der Jürgen,
Und in wilder Wut, selber der Tat nicht bewusst,
Stößt er nun das Messer dem Feind in die Brust.
Die Volme rauscht. Die Nachtigall flötet.
O Jürgen, du hast Caspar vom Wildspring getötet!
Sie laufen, sie keuchen den Berg hinan,
Die Bluttat und Jürgen Gennermann

Durch die Pußta dahin wie die Meereswogen
Die Heere des Prinzen Eugen zogen
Von Peterwardein auf Szegedin an.
Es sind an die fünfzigtausend Mann.
Und vor dem Heer wie die Hagelschossen
Kommt des Prinzen wild Reitervolk geschossen.
Auf allen Wegen jagt es heran,
Man sagt, es seien fünftausend Mann.
Vor allen den Schnellen die Schnellsten fliegen,
Damit sie die ersten Türken kriegen.
Von Zentha, dem Theißdorf, da sind sie heran.
Dem Tollsten, dem Jürgen Gennermann,
Hat’s bei solchem Treffen, stets bass gut gegangen,
Doch heute zum Teufel, da wird er gefangen
Mit ihm noch zwei andere Reiter,
Grad solche verwegenen Streiter,
Drei Dutzend, Tscherkessen oder Cartaren,
Zuviel selbst für drei wie der Volmeschmied waren.
Geknebelt, geknufft und auf Führergeheiß
Gestoßen die Brücke hin über die Theiß,
Und dann in dem prächtigen Türkenzelt
Vor den Sultan Mustafa gestellt!
Da heißt es nun sagen, woher und wie viel
Und wer sie führt und was ihr Ziel!
Doch Jürgen bleibt stumm trotz wildem Drohen
Mit Schwert und mit Strick und mit Feuerlohen.
Und die zwei, der rechter, der linker Seit,
Tun grad so dem türkischen Sultan Bescheid.
Dem voll und voller die Zornesader schwillt:
„Ihr Christenhunde, ich mach euch gewillt!“
Ein Tschubak! (d. i. schnell) Ein Wink auf den Mann in der Mitten!
Da wird ihm – die Zung aus dem Munde geschnitten.
Nun haben die zwei Kameraden gesagt,
Was der Sultan Mustafa sie gefragt.
Im Blut hinter’m Zelt liegt Gennermann
Drei Tag, bis Prinz Eugen die Schlacht (Die Schlacht bei Zentha war 1697) gewann
Er ist genesen, Ein Kriegsknecht
Blieb ohne Zunge er schlecht und recht.
Er ist ein Teufel. Er kann nur zischen.
Er kann in das ärgste Getümmel sich mischen,
Kann jagen und Stechen und sich hau’n
Dass der Wüstete wendet in wildem Grau’n.
Stets wenn er ins tollste Gerase verschlungen,
Dann hat aus seinem Tiefinnern erklungen
Dreimal ein unheimlich Aechsen,
Dreimal ein widerlich Krächsen.
Es geht ihm der Mund in die Breite.
Die Augen sie stieren ins Weite.
Drei Namen, in seiner Sprache gesagt,
Die hat er hinein in die Lüfte gejagt.
Weißt du welche und wie und was?
Caspar – Sultan – und Satanas!
Er ist kein Teufel. Er kann wohl nur zischen.
Doch kann er sich auch die Tränen wischen.
Wenn er Berge sieht, wenn die Linden blühn,
Wenn die Nachtigall singt und die Wasser ziehn,
Stets sind sie dann still, die Alten wie Jungen,
Dann hat aus seinem Tiefinnern geklungen
Dreimal ein seufzendes Aechsen,
Dreimal ein wunderlich Krächzen.
Es geht ihm der Mund in die Breite.
Die Augen sie gehen ins Weite.
Drei Namen, in seiner Sprache gesagt,
Die hat er hinein in die Lüfte geklagt.
Weißt du, kennst du seine Not?
Heimat – Greite – und Herregott!
Länder und Jahre dahin Stück um Stück!
Narben und Runzeln die bleiben zurück.
„Die Volmeberge voller Gold!
Das taten Herbst und Sonne.
Wer Augen hat und hat ein Herz,
Dem lachen sie vor Wonne.
O Gott, es ist ein ganzes Jahr,
Dass diese Wunderpracht nicht war
Und ich mich daran labte.“
So sprechen all und jedermann
In Dahl den goldnen Herbsttag an.
Doch einer, nein, der sagt das nicht.
Weißt du, was dieser eine spricht?
 „Die Volmeberge voller Gold!
Nach langer Nacht die Sonne“
Ihr Augen trinkt! O trinke, Herz!
Ich weiß nicht hin vor Wonne!
O Gott, es sind nun fünfzig Jahr,
Dass mir die Wunderpracht nicht war
Und ich mich konnte laben!“
Er hat es nicht gesprochen, er hat es gezischt,
Und Trän, auf Träne hat er sich aus dem Aug gewischt.
Dann ist er hingesunken am Weg auf einem Stein.
So zog der alte Jürgen in seine Heimat ein.
Alle Leute schaut er an
Tag für Tag der Gennermann,
In dem ganzen Dorfe Dahl
Und in jedem Haus im Tal.
In den Siepen, auf den Höhen
Überall sieht man ihn gehen.
Ob es stürmt und ob es schneit,
Nie war ihm ein Weg zu weit,
Da ist keiner, der ihn kennt,
Der den stummen Alten nennt.
Wie er spricht, so keiner spricht,
Was er spricht, versteht man nicht.
Jedem schaut er ins Gesicht.
Die er sucht, die find’t er nicht.
Als der Winter war gegangen
Und die Osterglocken klangen,
Ist er heim zu Gott gegangen.
Irgendwo bei der Kirche von Dahl
Drei Fuß im Grunde vom Volmetal
Liegt ein Schädel ohne Harre und Hirn,
Wilde Gedanken wogten einst hinter der hohen Stirn.
Liegt ein Häuflein Rippen, als das Herz noch darunter schlug,
Glühheiß und stürmisch, gewölbt wie des Schiffes Bug,
Liegen die Knochen und Knöchlein der Glieder langgestreckt,
Die im Leben so lustig gedehnt sich, so kräftig gereckt,
Liegt Stück bei Stück ohne Band, sanft als hatten sie nie miteinanderzu tun.
Und wissen nichts anders und Besseres als auszuruhn.
Das braune Kirchbuch der Pfarrei sagt dir seit wann,
Liegt: Jürgen Gennermann.

Im Kirchbuch von Dahl steht unterm 2. April 1755: Ein alter Mann der von den Türken gefangen gewesen, dem die Zunge ausgeschnitten, hat sich in dem vergangenen Winter hier aufgehalten und ist zu Hunsdiek aufm Westenhofe gestorben. Viele Kirchspielsleute haben ihn für den alten Jürgen Gennermann gehalten, welcher vor mehr als 50 Jahren in den Krieg geliefert worden.

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